Auf dieser Karikatur halten Landesverkehrsminister Winfried Hermann und ein weiterer Mann einen Bilderrahmen in die Höhe. Auf dem Bild im Rahmen steht ÖPNV.
Foto: Jonas Raeber/Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg

ÖPNV-Strategie 2030

Handlungsfeld 8: Rechts- und Finanzierungsrahmen

Bis 2030 will das Land den Rechts- und Finanzierungsrahmen für den ÖPNV so gestalten, dass ein quantitativ sowie qualitativ hochwertiges Angebot gewährleistet ist.

Zielbild 2030

Der rechtliche und finanzielle Rahmen ist 2030 so ausgestaltet, dass ein quantitativ sowie qualitativ hochwertiger ÖPNV gewährleistet ist. Flächendeckend ist eine Mobilitätsgarantie zur verlässlichen Anbindung aller Orte in Baden-Württemberg umgesetzt. Mit attraktiven Arbeitsbedingungen und Tarifbindung ist der ÖPNV für Arbeitnehmer:innen eine beliebte Branche.

In einem Rahmenplan des Landes („Landesnahverkehrsplan“) sind differenzierte Zielwerte u. a. für ÖPNV-Anteile im Modal-Split, klare ÖPNV-Bedienungsstandards im Sinne der Mobilitätsgarantie und unter Berücksichtigung raumstruktureller Unterschiede sowie zentrale Maßnahmen und übergeordnete planerische Leitplanken definiert. Korrespondierend werden die Anforderungen in den Nahverkehrsplänen der Kreise aufgegriffen. Die Finanzierung der ÖPNV-Mindeststandards als Mobilitätsgarantie ist gesichert. Die Kommunen haben die Möglichkeit, sich zusätzliche verkehrsbezogene Finanzierungsquellen zu erschließen, um damit ambitioniertere ÖPNV-Ausbaukonzepte zu finanzieren. 

Ausgangslage

Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV ist Bestandteil der Daseinsvorsorge und ein wichtiger Aspekt für die soziale und ökonomische Teilhabe. Die Sicherstellung eines angemessenen öffentlichen Verkehrs in Baden-Württemberg ist im Gegensatz bspw. zur neuen kommunalen Pflicht der Kindertagesbetreuung derzeit noch als freiwillige Aufgabe der Kommunen definiert. Der Betrieb und Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist demzufolge in starkem Maße vom politischen Willen und den finanziellen Möglichkeiten der lokalen Akteurinnen und Akteure abhängig und variiert zwischen den Aufgabenträgern mitunter beträchtlich: In manchen Regionen besteht ein verlässliches und gut vertaktetes Angebot von Bus und Bahn. In anderen Regionen beschränkt sich das ÖPNV-Angebot weitgehend auf den Schülerverkehr. Damit lässt sich die Verdopplung der Nachfrage bis 2030 nicht erreichen. Und die bestehenden Finanzmittel von Bund, Land und Kommunen reichen für den erforderlichen Ausbau des ÖPNV bei weitem nicht aus.

Die Definition von Standards für die ÖPNV-Bedienung erfolgt gegenwärtig durch die jeweiligen Aufgabenträger. Eine landesweite Rahmenplanung von Leitplanken und Mindeststandards, (die dennoch ausreichend Spielräume für regionale Möglichkeiten, Besonderheiten und Bedürfnisse lässt), z. B. in Form eines „Landesnahverkehrsplans“, existiert aktuell nicht. Dies erschwert eine in sich stimmige und auf das Verdopplungsziel ausgerichtete Angebotsplanung und -steuerung.

Eine weitere Herausforderung für die Stärkung des ÖPNV bildet der vorherrschende Mangel an qualifiziertem Personal, sowohl im Bereich des operativen Betriebspersonals wie auch im planerisch-konzeptionellen Bereich (Ingenieurinnen und Ingenieure). Hier sind die Arbeitsbedingungen oft noch nicht attraktiv genug, um stark umworbene Fachkräfte zu rekrutieren und dann auch nachhaltig zu binden. Auch der Bereich der laufenden Weiterbildung und Qualifizierung gewinnt angesichts des zunehmenden Digitalisierungstempos im öffentlichen Verkehr weiter an Bedeutung.   

Ansatzpunkte

Angesichts des Bedeutungszuwachses des öffentlichen Verkehrs für eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung ist eine höhere Verbindlichkeit für den Ausbau des ÖPNV das Ziel. Daher soll ein landesweit verlässliches, konsistentes und attraktives ÖPNV-System mit definierten Mindeststandards mit Hilfe einer ÖPNV-Mobilitätsgarantie sichergestellt werden. Damit steht eine Klärung an, ob und mit welcher Konkretisierung die Aufgabe mittelfristig in eine kommunale Pflichtaufgabe überführt werden soll.

Für eine abgestimmte Ausbaustrategie sollen landesweite, jedoch räumlich differenzierte Zielwerte und planerische Leitplanken für den Ausbau des ÖPNV in einem Landesnahverkehrsplan definiert werden. Die Funktion der Nahverkehrspläne der Stadt- und Landkreise als konzeptionelle Grundlage zur ÖPNV-Weiterentwicklung und Angebotsverbesserung soll mit klaren Zielen und Maßnahmen gestärkt werden. Der gewünschte Angebotssprung im ÖV wird erhebliche finanzielle Anstrengungen erfordern. Hier sind alle Ebenen gefordert: der Bund (über eine deutliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel), das Land (über eine Aufstockung der ÖPNV-Zuweisungen) wie auch die Kommunen durch die Bereitstellung eigener Finanzmittel. Neben den regulären Haushaltsmitteln wird die Erschließung der zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten entscheidend sein.

Um die vielschichtigen Aufgaben zur Verdopplung der Nachfrage im ÖPNV wahrnehmen zu können, sollen auch die personellen Voraussetzungen und attraktive Arbeitsbedingungen bei den jeweils zuständigen Akteurinnen und Akteuren geschaffen werden. 

Augewählte Maßnahme

Gutes Beispiel: Instrumente zur Drittnutzerfinanzierung

Die Verkehrswende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die das Leben aller Menschen positiv beeinflussen wird. Der unmittelbare Nutzen liegt in der Entlastung der Straßen vom Autoverkehr durch Bündelung im ÖPNV, Emissionsreduktion durch weniger Autoverkehr, weniger Staus und eine unbeschwerte Fortbewegung aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer im öffentlichen Raum. Um den zur klimafreundlichen Verkehrswende erforderlichen Ausbau öffentlicher Verkehrsangebote zu bewerkstelligen, bedarf es neuer und langfristig tragfähiger Finanzierungsinstrumente. Neben dem Ausbau der klimafreundlichen Mobilitätsangebote sind gleichzeitig auch finanzielle Anreize erforderlich, damit die Menschen weniger Auto fahren und stattdessen auf den ÖPNV und andere klimafreundliche Verkehrsmittel umsteigen. Damit wird ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz und zu lebenswerteren Städten und Gemeinden geleistet.

Im Koalitionsvertrag 2021–2026 für Baden- Württemberg wurde daher die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage auf Landesebene für einen Mobilitätspass vereinbart, nachdem dieser seit 2019 in vier Modellkommunen (Bad Säckingen, Mannheim/Heidelberg, Tübingen und Stuttgart) diskutiert und dessen Effekte kürzlich durch ein Fachgutachten bewertet wurden. Das Konzept sieht vor, dass die kommunale Ebene die Erhebung einer Abgabe/eines Beitrags beschließen kann, die zu einer vergünstigten oder kostenfreien Nutzung des ÖPNV berechtigt bzw. dessen Ausbau mitfinanziert. Mit dem Mobilitätspass sollen die Nutzerinnen und Nutzer entsprechend der Höhe der Gebühr ein ÖPNV-Guthaben erhalten, das in gleicher Höhe beim Kauf von ÖPNV-Zeitkarten eingelöst werden kann. Vier Instrumente kommen dabei infrage: das Bürgerticket für alle erwachsenen Einwohnerinnen und Einwohner, die Nahverkehrsabgabe für alle Kfz-Halterinnen und -Halter, die Straßennutzungsgebühr für alle Pkw-Nutzerinnen und -Nutzer sowie eine Arbeitgeberabgabe.

Wie wichtig und hilfreich solche Instrumente der sog. Drittnutzerfinanzierung für den ÖPNV sein können, zeigen erfolgreiche Umsetzungsbeispiele im internationalen Kontext: die in Wien umgesetzte Dienstgeberabgabe sowie das französische Modell des Versement transport. Während in Wien jeder Arbeitgeber für die auf dem Gebiet der Stadt Wien beschäftigten Arbeitnehmer:innen pro angefangene Woche eines Arbeitsverhältnisses eine Abgabe in Höhe von 2,00 € entrichtet, wird mit dem französischen Versement transport den Kommunen die Möglichkeit gegeben, eine Abgabe zu erheben, die einen festzusetzenden Prozentsatz der Lohnsumme des Arbeitgebers beträgt. Die generierten Mittel werden von den Kommunen zweckgebunden für die Förderung des ÖPNV genutzt.

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