Kongress -
2. Forum für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Dem öffentlichen Verkehr ist ein grundlegender Imagewandel gelungen. Mit aufwändigen, emotionalisierenden Kampagnen ist er als Teil einer neuen und zukunftsorientierten Mobilitätskultur fest verankert und in allen gesellschaftlichen Bereichen positiv besetzt. Den öffentlichen Verkehr zu nutzen und zu fördern, ist selbstverständlich geworden. Bei der Nutzung von Bus und Bahn erleben die Fahrgäste Wertschätzung und eine hohe Aufenthaltsqualität – an Haltestellen und in Fahrzeugen. Sie erhalten verlässliche Echtzeitinformationen zu ihren Verbindungen und werden entschädigt, wenn Verspätungen am Zielort einen bestimmten Wert überschreiten. Zudem werden sie innerhalb der von ihnen genutzten Kommunikationskanäle aktiv, kompetent, schnell und positiv-emotional über für sie relevante Angebote und Entwicklungen informiert.
Marketing und Kommunikation für den ÖPNV in Baden-Württemberg erfolgen zu einem Großteil durch die Verkehrsunternehmen und -verbünde, ergänzt durch die landesweite Dachmarke bwegt. Die bisherigen Kommunikationskonzepte haben aber noch keinen nachhaltigen Imagewandel des ÖPNV als kundenorientiert, zuverlässig und modern erzielen können. Dies liegt zum Teil daran, dass die entsprechenden Voraussetzungen bei Angebot und Qualität noch nicht geschaffen wurden (vgl. vorherige Handlungsfelder), häufig ist die Kommunikation aber auch noch zu „technisch-rational“, zu wenig emotional und zu wenig mutig.
Für eine Verdopplung der Nachfrage im öffentlichen Verkehr bedarf es einer deutlich gesteigerten positiven öffentlichen Wahrnehmung – im Sinne einer neuen „Mobilitätskultur“. Die aktuellen Kampagnen sind gemessen an diesem Anspruch allerdings überwiegend noch nicht nah genug an den Interessen der Zielgruppen. Zwar hat der ÖPNV mit der landesweiten Mobilitätsmarke „bwegt“ in Baden-Württemberg an Sichtbarkeit und Wiedererkennungswert gewonnen, jedoch mangelt es darüber hinaus oft noch an Koordination unter den Akteurinnen und Akteuren, so dass der ÖPNV als „starke Marke“ für zeitgemäße Mobilität landesweit gesehen und verstanden wird. Auch bei Fahrgastinformationen und -rechten besteht vielerorts noch deutliches Potenzial für kundenfreundlichere und einheitlichere Standards. Gleiches gilt für die wettbewerbsneutrale Bereitstellung relevanter Mobilitätsdaten vieler Verkehrsmittel, für die mit der Plattform MobiData BW und der ÖPNV-Multiplattform für Frontend- Systeme nun eine tragfähige Grundlage geschaffen wurde bzw. wird.
Durch eine landesweit deutliche Intensivierung eines positiven und emotionalisierenden Marketings und der Fahrgastkommunikation sowie mit gestärkten Fahrgastrechten und guter Mobilitätsdienstleistung soll ein Imagewandel des öffentlichen Verkehrs herbeigeführt werden. Dabei soll auf aufeinander abgestimmte, emotionalisierende Kampagnen gesetzt werden, die zum Ziel haben, die Menschen zu begeistern. Insgesamt soll auf diese Weise eine neue „ÖPNV-Kultur“ in Baden-Württemberg angestoßen und nachhaltige Veränderungen im Mobilitätsverhalten unterstützt werden.
Die Fahrgastinformation im Vorfeld und während der Nutzung des ÖV soll ausgebaut werden, etwa mit landesweit verlässlichen Qualitätsstandards, Echtzeit- Informationssystemen und der Einrichtung einer zentralen Schnittstelle zwischen Fahrgästen und Anbietern.
Zudem sollen die Rechte der Fahrgäste durch eine landesweite Servicegarantie im ÖPNV gestärkt werden, die bei nicht erfüllten Mindeststandards – bezogen auf Pünktlichkeit und Anschlusssicherung – geeignete Entschädigungsmaßnahmen vorsieht. Mit der diskriminierungsfreien Plattform MobiData BW soll schließlich die Mobilitätsdaten-Architektur zukunftsgerecht ausgebaut und dafür gesorgt werden, dass verlässliche Echtzeitdaten für Planung und Auskunft landesweit wie auch grenzüberschreitend zur Verfügung stehen.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) riefen ihre Kundinnen und Kunden im Jahr 2015 mit der Kampagne #weilwirdichlieben dazu auf, ihre schönsten BVG-Momente zu teilen. Aufgrund von Unmut wegen u. a. hoher Verspätungsquoten fiel die Reaktion auf diese Kampagne in den sozialen Netzwerken jedoch sehr negativ aus. Dies nahm die BVG zum Anlass, die Kommunikationsstrategie der Kampagne grundlegend zu ändern: statt Schönmalerei zeigte sich fortan ein hohes Maß an Ehrlichkeit, Reflektion, Humor und Selbstironie. Posts wie „Mut zur Lücke – Bitte Abstand halten.“ während der Corona-Pandemie sind zum Markenzeichen der Kampagne geworden und kommen bei den Berlinerinnen und Berlinern sehr gut an. Auch wenn die Berliner Tonalität sicher nicht auf jede Region übertragbar ist, so verdeutlicht die Entwicklung dieser Kampagne dennoch wesentliche Erfolgsfaktoren von erfolgreicher Fahrgastkommunikation: entscheidend ist die Auseinandersetzung mit den echten Wünschen und Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden sowie eine reflektierte und selbstkritische Kommunikation, mit der man den Fahrgästen auf Augenhöhe begegnet.