Ein schwarzer Mercedes parkt am Marktplatz von Freudenstadt. Es liegt Schnee.
Foto: Landratsamt Freudenstadt

On-Demand-Verkehre: Interview mit mobil(er)leben

„Wir wollen keine subventionierten Taxifahrten anbieten“

Anna-Lena Eisele im Interview zum On-Demand-Verkehr mobil(er)leben mit dem Schwerpunkt Fahrgäste. 

Das Zukunftsnetzwerk ÖPNV fragt nach: In einer Interview-Reihe sprechen wir mit Vertreter:innen der On-Demand-Verkehre in Baden-Württemberg. Die Interviews zeigen Chancen und Herausforderungen, die mit der Einführung solcher Angebote einhergehen. Ein Service für Kommunen und Verkehrsverbünde, die selbst einen On-Demand-Verkehr planen.

Das ÖPNV-Taxi fährt in mehreren Bediengebieten im Landkreis Freudenstadt, beispielsweise rund um die großen Kreisstädte Freudenstadt und Horb am Neckar. Es soll insbesondere die „weißen Flecken“ im ländlichen Raum anbinden, also Randzonen und Randzeiten. Im Landkreis gibt es sehr viele kleinere Dörfer, die maximal zweimal am Tag mit dem Bus angefahren werden, hauptsächlich zu den Schülerverkehrszeiten. Eine stündliche Busanbindung lohnt sich dort nicht und wäre auch gar nicht möglich, weil es an Fahrpersonal mangelt. Daher hat die vgf Verkehrs-Gemeinschaft Landkreis Freudenstadt GmbH mit dem ÖPNV-Taxi eine Alternative eingeführt. 

Die Fahrgäste können das ÖPNV-Taxi per App oder Telefon bestellen und werden dann von einer vereinbarten Bushaltestelle oder einer der wenigen virtuellen Haltestellen abgeholt. Im Hintergrund prüft ein sogenanntes Widerstandsmodell, ob ungefähr zur gleichen Zeit eine Bus- oder Bahnverbindung besteht. Ist das nicht der Fall, kann das ÖPNV-Taxi gebucht werden.  

Die örtlichen Taxiunternehmen werden beauftragt, die Fahrten durchzuführen. Wer im ÖPNV-Taxi mitfahren möchte, zahlt zusätzlich zum vgf-Tarif einen Zuschlag von zwei Euro. Bei Fahrgästen unter 18 Jahren beträgt der Aufpreis einen Euro, Fahrgäste mit KONUS-Gästekarte zahlen drei Euro extra. Ab Tarifzone 4 wird der Zuschlag erhöht.

Das ÖPNV-Taxi wurde vom Land Baden-Württemberg mit 1,8 Millionen Euro gefördert. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Was ist das ÖPNV-Taxi?

Anna-Lena Eisele:  Bei unserem Angebot handelt sich um einen On-Demand-Verkehr, den Fahrgäste per App oder Anruf bestellen können, wenn zeitgleich kein Bus fährt. Die Fahrten führen Taxiunternehmen zu einem ÖPNV-Preis für die Fahrgäste durch.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie verhindern Sie, dass Fahrgäste ein günstiges ÖPNV-Taxi rufen, statt mit dem Bus zu fahren? 

Anna-Lena Eisele: Unser Buchungssystem hat ein sogenanntes Widerstandsmodell, das anhand verschiedener Parameter entscheidet, ob wir eine Fahrt per ÖPNV-Taxi anbieten oder nicht. Wenn beispielsweise parallel zum Fahrtwunsch ein Bus fährt, kann kein ÖPNV-Taxi gebucht werden. Außerdem kosten Fahrten mit dem ÖPNV-Taxi einen Aufpreis zum vgf-Tarif. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Können Sie uns dieses Widerstandsmodell kurz erklären? 

Anna-Lena Eisele: Das Widerstandsmodell ist ein technisches System, das bei einer Fahrtanfrage im Hintergrund für jede vorhandene Busverbindung einen Wert berechnet, bei dem beispielsweise die Anzahl der Umstiege, der Fußweg von und zur Haltestelle und die Gesamtdauer der Fahrt berücksichtigt werden. Überschreitet der errechnete Wert einen bestimmten Grenzwert, wird die vorhandene Busverbindung nicht mehr als zumutbar angesehen und ein ÖPNV-Taxi angeboten.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Im ÖPNV-Taxi fahren viele Schüler:innen mit. Warum ist das so? 

Anna-Lena Eisele: Das Angebot wird von jungen Menschen generell gut angenommen, weil es eine hohe Flexibilität bietet. Sie fahren damit beispielsweise selbstständig zum Konfirmandenunterricht oder zum Musikunterricht. Bisher waren sie dafür auf das Elterntaxi angewiesen. Es gibt natürlich auch Schüler, die herausgefunden haben, dass sie das ÖPNV-Taxi zur Schule nehmen können, wenn sie den Bus um eine gewisse Zeit „verpassen“. Sie können dann morgens zum Beispiel eine halbe Stunde länger schlafen, weil das ÖPNV-Taxi schneller ist als der Bus. Unser Widerstandmodell greift in diesem Fall nicht, weil der nächste Bus zur Schule erst über eine Stunde später kommt.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Haben Sie einen Plan, wie Sie dieser Entwicklung entgegensteuern könnten? 

Anna-Lena Eisele: Wir könnten natürlich die Parameter des Widerstandmodells so einstellen, dass Schüler, die den Bus verpassen, mit dem ÖPNV-Taxi nicht pünktlich zum Unterrichtsbeginn in die Schule gelangen können. Wir müssen aber sehr genau überlegen, wie sich solche Änderungen auf das Gesamtsystem auswirken, weil die Parameter nicht nur für Schüler gelten, sondern für alle Fahrgäste. Deshalb wird hier auch in Zukunft ein ständiges Feinjustieren notwendig sein.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Welchen Beitrag leisten On-Demand-Verkehre für mobilitätseingeschränkte Personen? 

Anna-Lena Eisele: Für mobilitätseingeschränkte Personen ist das ÖPNV-Taxi auf jeden Fall ein Vorteil, da sie es beispielsweise statt einer Busverbindung mit vier oder fünf Umstiegen nutzen können. In unserem Widerstandsmodell ist die Anzahl der Umstiege beispielsweise ein Kriterium, sodass in so einem Fall ÖPNV-Taxi-Fahrten gebucht werden können, auch wenn Busse parallel fahren.  

Zudem bieten wir aktuell noch eine Haustürbedienung an. Mit dieser können sich Fahrgäste gegen einen Aufpreis von fünf Euro von zu Hause abholen lassen. Allerdings soll das ÖPNV-Taxi ja den Bus ergänzen und nicht ersetzen, sodass auch dieses Angebot nur buchbar ist, wenn keine Busverbindung vorhanden ist. Daher kommt das Angebot natürlich an seine Grenzen und mobilitätseingeschränkte Personen werden oft auf den Bus verwiesen. Aus diesem Grund überlegen wir, für diese Personengruppe die Buchungskriterien anzupassen. Priorität hat aber erstmal, das Angebot auf den ganzen Landkreis auszuweiten. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Warum soll die Haustürbedienung dann abgeschafft werden? 

Anna-Lena Eisele: Die Kreisverwaltung hat vorgeschlagen, die finanzielle Beteiligung an der Haustürbedienung abzuschaffen. Dies bedeutet, dass das ÖPNV-Taxi nur noch bis zur Haltestelle über die App gebucht werden kann. Möchte jemand dann trotzdem noch nach Hause gefahren werden, kann die Strecke von der Haltestelle bis nach Hause über den Taxometer (wie eine reguläre Taxifahrt) abgerechnet werden. Ob dies so umgesetzt wird, muss aber der Kreistag entscheiden. Ursprünglich war die Haustürbedienung für Jugendliche gedacht, die in den Abendstunden unterwegs sind. Denn manche Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder zu später Stunde von der Haltestelle nach Hause laufen. Außerdem wurde die Haustürbedienung auch für ältere Menschen eingeführt, denen die Haltestelle zu weit vom Haus entfernt ist. Wir haben aber herausgefunden, dass die Haustürbedienung oft von Menschen, die sie nicht benötigen, aus Bequemlichkeit genutzt wird. Das widerspricht dem Grundgedanken des Angebots, weil wir ja keine subventionierten Taxifahrten anbieten wollen. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Welche Marketingmaßnahmen zur Fahrgastgewinnung haben Sie durchgeführt, um Ihre Zielgruppen zu erreichen?   

Anna-Lena Eisele:  Zur Einführung des ÖPNV-Taxis haben wir zusammen mit einer Agentur eine Werbekampagne durchgeführt. Wir haben Plakatwände in den großen Kreisstädten Horb und Freudenstadt aufgestellt, Beiträge auf Instagram gepostet, eine Unterseite auf der vgf-Homepage eingerichtet und Postkarten mit Slogan und QR-Code an den Schulen ausgeteilt, um die Schüler zu erreichen. 

Die Begleitforschung hat aber gezeigt, dass das Projekt noch nicht so bekannt war, wie wir uns das vorgestellt haben. Auch der QR-Code auf der Postkarte wurde kaum genutzt. Daher haben wir bei der ersten Gebietserweiterung nochmal einen Info-Flyer erstellt, den wir auf der Homepage eingestellt haben und der dann in den Gemeinden zum Beispiel an Vereine und bei Veranstaltungen verteilt wurde. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Sie haben in der Anfangsphase im Raum Freudenstadt und Horb die Disposition manuell gemacht und tun dies auch noch in den anderen Bediengebieten. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden? 

Anna-Lena Eisele: Ganz zu Beginn sind wir mit einer automatischen Disposition gestartet. Das System hat die Taxifahrten automatisch den Fahrern zugeteilt. Anfangs, als die Taxifahrer mit dem System noch nicht so vertraut waren, haben sie teilweise nicht auf ihr Handy geschaut und dadurch Buchungen übersehen und sind nicht an der Haltestelle aufgetaucht. Wir haben uns dann dazu entschieden, wieder auf eine manuelle Fahrtenvergabe umzustellen. Das bedeutet, dass die Fahrer Fahrtanfragen bekommen und diese aktiv bestätigen müssen. Wenn Fahrten nicht bestätigt werden, sehen wir das und können beim Taxiunternehmen nachfragen, wieso die Fahrt noch nicht angenommen wurde. Dadurch können wir verhindern, dass Fahrten verloren gehen.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: In Horb haben Sie inzwischen wieder auf eine automatische Fahrtenvergabe umgestellt. Funktioniert das nun besser? 

Anna-Lena Eisele: Ja, dort haben wir im November letzten Jahres wieder auf die automatische Disposition umgestellt und das funktioniert inzwischen gut. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wirkt es sich auf die Pooling-Quote aus, ob Sie Fahrten manuell oder automatisch vergeben? 

Anna-Lena Eisele: Wenn man jetzt nur Horb betrachtet, ist die Pooling-Quote – seit wir umgestellt haben – von acht, neun Prozent auf zwölf, 13 Prozent gestiegen. Das ist auch logisch. Bislang konnte im Prinzip jeder Fahrende eine Fahrt annehmen. Jetzt schaut das System, ob Fahrtwünsche zusammengelegt werden können. Genau deswegen ist es unser Ziel, langfristig alle Bediengebiete wieder auf automatische Disposition umzustellen. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie hoch ist die No-Show-Quote bei mobil(er)leben? 

Anna-Lena Eisele: Wir hatten bislang eine No-Show-Quote von fünf Prozent. Im Januar waren es sogar nur zwei Prozent, was wenig ist. Das liegt daran, dass wir aktiv gegensteuern. Wenn die Taxifahrer uns melden, dass Kunde XY oft Fahrten bucht und dann nicht an der Haltestelle auftaucht, rufen wir den Kunden an und wollen wissen, warum er das macht. Wenn er sich nicht bessert, können wir ihn sperren. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wir haben im Rahmen der Begleitforschung die betrieblichen Kosten pro Fahrt von verschiedenen On-Demand-Verkehren verglichen. Das ÖPNV-Taxi schneidet am besten ab. Warum ist das so?   

Anna-Lena Eisele: Wir sind deshalb so gut, weil wir durch die Zusammenarbeit mit den Taxiunternehmen im Prinzip keine Vorhaltekosten haben. Wenn man mit einem Fremdanbieter zusammenarbeitet, dann zahlt man die Wartezeiten, das Personal und die Fahrzeuge. Wir zahlen nur die Fahrten, die für uns durchgeführt werden. Wartezeiten in dem Sinne gibt es nicht, weil die Fahrer mit ihren Fahrzeugen als reguläre Taxis unterwegs sein können, wenn sie keinen Auftrag von uns haben.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie gewinnen Sie die Taxiunternehmen als Dienstleister? 

Anna-Lena Eisele: Vor dem Start des Angebots laden wir alle ansässigen Taxiunternehmen in einem Bediengebiet ein und stellen ihnen unser Konzept vor. Wer mit uns zusammenarbeiten will, darf auch mitmachen. Und wenn beispielsweise in Freudenstadt ein neues Taxi-Unternehmen eine Genehmigung bekommt, steht unsere Tür offen. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Taxiunternehmen? 

Anna-Lena Eisele: Grundlage für die Zusammenarbeit mit den Taxiunternehmen ist eine Sondervereinbarung, in der unter anderem geregelt ist, dass sie für die durchgeführten Fahrten einen Ausgleich bekommen, der dem Taxitarif entspricht. Wir haben pro Tag durchschnittlich 200 Fahrten. Das ist sehr viel und hilft den Taxiunternehmen wirtschaftlich.  

Die Zusammenarbeit läuft gut, weil wir intensiv und offen mit den Taxiunternehmen kommunizieren. Wir telefonieren fast täglich mit den Unternehmen und klären alle Probleme. Die Taxiunternehmen spiegeln uns auch zurück, was nicht so gut läuft. Das ist ein gewisser Mehraufwand gegenüber einem Fremdanbieter, der alles organisiert, aber es lohnt sich.  

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