Eine schwarze Großraumlimousine im Design von KVV MyShuttle steht vor einem Park.
Foto: Paul Gärtner/KVV

On-Demand-Verkehre: Interview mit KVV.MyShuttle

„Man muss die Erfahrungen vor Ort sammeln“

Interview mit Felix Heller vom Karlsruher Verkehrsverbund zum Thema Planung von On-Demand-Verkehren am Beispiel von KVV.MyShuttle 

Das Zukunftsnetzwerk ÖPNV fragt nach: In einer Interview-Reihe sprechen wir mit Vertreter:innen der On-Demand-Verkehre in Baden-Württemberg. Die Interviews zeigen Chancen und Herausforderungen, die mit der Einführung solcher Angebote einhergehen. Ein Service für Kommunen und Verkehrsverbünde, die selbst einen On-Demand-Verkehr planen.

MyShuttle bedient sowohl ländliche Räume als auch suburbane Gebiete und Städte im Speckgürtel von Karlsruhe, in denen das klassische ÖPNV-Angebot lückenhaft ist. Der Fokus liegt dabei auf der ersten und letzten Meile. Die Fahrtzeiten unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Bediengebieten. Grundsätzlich gilt: Die Bedienung startet abends zwischen 19 und 20 Uhr. Gefahren wird bis in die Nacht. An den Wochenenden fährt MyShuttle in einzelnen Gebieten auch tagsüber. Das Angebot soll keine Konkurrenz zu Bussen und Bahnen sein, sondern Fahrgäste auch in diesen Zeiten an den Schienenverkehr und an größere Zentren anbinden. Das flexible Angebot wird vom Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) und seinen Aufgabenträgern gemeinsam mit den Busverkehren ausgeschrieben und vergeben. Die Busunternehmen beauftragen dann lokale Taxiunternehmen als Subunternehmen, die die Fahrten durchführen.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: KVV.MyShuttle fährt sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten. Welche Unterschiede gibt es hier? 

Felix Heller: Der wesentliche Unterschied ist, dass die Verkehre in den ländlichen Bediengebieten noch stärker auf die Verknüpfung mit dem Schienenverkehr ausgerichtet sind. Die Menschen wollen vor allem zum nächsten Bahnhof oder von dort nach Hause fahren. Innerhalb von Dörfern oder von Ortsteil zu Ortsteil gibt es in diesen Zeiten eher wenig Nachfrage. Das ist in Städten mit einem gewissen Kulturangebot anders. Im Bediengebiet Ettlingen, was eine in sich funktionierende Stadt mit 40.000 Einwohnern ist, fahren die Leute auch mal zum Kino oder ins Restaurant, bleiben also viel häufiger im Bediengebiet. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Sind On-Demand-Verkehre in Ballungsräumen besser darstellbar? 

Heller: Nein. On-Demand-Verkehre funktionieren im ländlichen Gebiet auch sehr gut. Aber es gibt eindeutige Lastrichtungen: abends wollen die Leute nach Hause, samstagvormittags wollen sie zum Bahnhof fahren. Also ist am Samstagvormittag die Chance hoch, das Fahrzeug für den Weg vom Dorf zur Bahn gut zu füllen. Auf dem Rückweg ins Dorf will aber unter Umständen niemand mitfahren. Je urbaner ein Gebiet ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es bei einer Fahrt in beide Richtungen Fahrtaufträge gibt. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie gehen Sie damit um, dass sich die Fahrgäste eine zeitliche und räumliche Ausweitung des MyShuttle-Angebots wünschen, die Bussen und Bahnen Konkurrenz machen würde? 

Heller: Wir verstehen natürlich, dass Fahrgäste MyShuttle auch tagsüber nutzen oder weitere Strecken fahren wollen. Wir kommunizieren dann offen die Grenzen des On-Demand-Systems. Wenn beispielsweise bis 19 Uhr noch recht viele Fahrgäste im Bus sitzen, können wir diese mit den kleineren Fahrzeugen für den On-Demand-Verkehr nicht zufriedenstellend befördern. Da ist der Bus klar im Vorteil und daher verweisen wir die Fahrgäste auch auf den Bus. Wir kommunizieren auch, dass es politische und räumliche Grenzen für unser Angebot gibt. Wenn ein Nachbarort in einem anderen Landkreis ebenfalls bedient werden möchte, dann können wir nicht einfach entscheiden, dahinzufahren. Dazu müssten vor Ort erstmal passende Strukturen bestehen und vertragliche, aber auch politische Hürden überwunden werden.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Die telefonischen Fehlbuchungen sind bei KVV.MyShuttle sehr hoch. Das steht im Widerspruch zu den Zahlen anderer On-Demand-Verkehre. Warum ist das so? 

Heller: Die telefonische Buchung passt nicht besonders gut zu unserem sehr flexiblen On-Demand-Verkehr. Denn es gibt bei uns viele Variablen, die man Fahrgästen am Telefon nicht so gut erklären kann. Wenn der Fahrgast zum Beispiel zu einer virtuellen Haltestelle an der Karlsruher Straße 15 gehen soll, aber keine ausreichend guten Ortskenntnisse hat, wird dies schwierig am Telefon zu erklären sein. Auch wenn sich der Abfahrtzeitpunkt ändert, weil das Fahrzeug unterwegs einen weiteren Fahrgast einsammelt, ist dies digital auf der App natürlich besser darstellbar. Es kommt also vor, dass Fahrgäste nicht zur Haltestelle finden oder nicht auf das verspätete Fahrzeug warten. Wer aber per App bucht, sieht den Weg zur Haltestelle direkt auf der Karte auf dem Smartphone und bekommt eine Echtzeitinfo, wann das Fahrzeug kommt. Andere On-Demand-Verkehre bedienen möglicherweise nur echte ÖPNV-Haltestellen. Da funktioniert es mit den Telefonbuchungen deutlich besser.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Können On-Demand-Verkehre dazu eingesetzt werden, um Buslinienverkehr bei Nachfragespitzen zu ergänzen? 

Heller: Nein. Wenn es Nachfragespitzen gibt, ist der Wechsel auf größere Fahrzeuge, zum Beispiel einen Gelenkbus oder eine engere Taktung, sinnvoll. Es könnte eher andersherum funktionieren. Beispielsweise, wenn es im Winter einen Weihnachtsmarkt gibt, der um 22 Uhr endet, oder im Sommer ein Open-Air-Konzert stattfindet. Dann wollen auf einen Schlag so viele Leute nach Hause, dass der Shuttleverkehr das nicht leisten kann. Hier könnte man auf gewissen Achsen ein Grundangebot mit Bussen anbieten, das durch flexible On-Demand-Verkehre optimal ergänzt wird.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie stellen Sie sicher, dass KVV.MyShuttle – wenn möglich – einen Anschluss an Busse und Bahnen hat? 

Heller: Bei der Buchung können die Fahrgäste auswählen, ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt abfahren oder ankommen möchten. Bei ankunftsbasierten Buchungen lässt das System kein Pooling mit Fahrgästen zu, das zu Umwegen und damit zeitlichen Verschiebungen führt. Es werden nur zusätzliche Fahrgäste eingesammelt, die direkt an der Strecke einsteigen. Dadurch kommt man beim ankunftsbasierten Buchen in der Regel pünktlich zum Bahnhof. Wenn Fahrgäste vom Bahnhof abgeholt werden wollen, ist nur die abfahrtsbasierte Buchung sinnvoll. Das Shuttle kann bei Verspätungen der S-Bahn allerdings nicht lange auf die Fahrgäste warten, weil das zwangsläufig andere Fahrten verzögern würde. Wir bitten die Fahrgäste daher, im Verspätungsfall ihre Fahrt zu stornieren und eine neue Fahrt zu buchen. 

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Mit welcher Vorstellung von On-Demand-Verkehren sind Sie in politischen Gremien konfrontiert worden? 

Heller: Die Kommunen und ihre Gremien wissen grundsätzlich, wie ein On-Demand-Verkehr funktioniert. Was aber oft missverstanden wird, ist, dass das Angebot nur die echten Nachfragebeziehungen abdeckt und ebenfalls seine Grenzen hat. Gemeinden haben zum Beispiel oftmals den Wunsch, dass die Menschen noch lokaler bleiben und beispielsweise zum Einkaufen in den Kernort fahren. Und aus der älteren Bevölkerung kommt häufig der Wunsch, mit dem Shuttle zum Arzt fahren zu können. Beides funktioniert aber wegen der Bedienzeiten von MyShuttle meist nicht.   

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Welche Bedenken und Erwartungen haben politische Gremien bezüglich On-Demand-Verkehre? 

Heller: Es wird oft vermutet, dass die Shuttle-Verkehre die ältere Bevölkerung ausschließen würden. Aber das ist ein Trugschluss. Die ältere Bevölkerung ist durchaus offen für Neues und auch flexibler, als man vielleicht denkt. Das gilt gerade für die Smartphone-Nutzung. Wie gut die ältere Bevölkerung On-Demand-Verkehre letztlich annimmt, hängt mit der Arbeit vor Ort zusammen. Gerade wenn die Gemeinden einen guten Draht zu ihren Seniorenräten oder zur älteren Bevölkerung generell haben, können sie sehr gut Werbung für das Angebot machen und darüber informieren, um diese Bevölkerungsgruppe mitzunehmen. Die Gemeinden können also viel selbst dazu beitragen, dass das Angebot auch von der älteren Bevölkerung genutzt wird.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie konnten Sie die politischen Gremien für den On-Demand-Verkehr gewinnen?  

Heller: Im Prinzip muss man die politischen Gremien heute gar nicht mehr von On-Demand-Verkehren überzeugen. Wenn man positive Beispiele in der Region hat, bekommen die das ganz schnell mit und wollen so ein Angebot von sich aus haben. Wir müssen nicht hausieren gehen und Überzeugungsarbeit leisten. Es ist vielmehr so, dass wir mit einer Vielzahl von Wünschen erschlagen werden und ein bisschen bremsen müssen.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie muss die Planung von flexiblen Verkehren im Vergleich zu festen Linien erfolgen? 

Heller: Der Unterschied zwischen einem fahrplangebundenen Linienverkehr und einem flexiblen Angebot, das auf eine gewisse Wegführung verzichtet, ist enorm. Man muss sich auf neues Terrain begeben, weil man bis in den letzten Wendehammer oder bis in dichte Siedlungsgebiete bedient. Man muss sich Gedanken zum Haltestellenkonzept machen und sich fragen, was die Grenzen der Bedienung sind. Einen abgelegenen Grillplatz, der nur über einen Schotterweg erreichbar ist, brauche ich im Dunkeln oder im Schneetreiben beispielsweise nicht anfahren. Das ist ein Planungsbereich, den man vom Busverkehr nicht kennt, weil der auf festen Achsen in ganz anderen Gebieten unterwegs ist. 

Dann ist da noch der Bereich Fahrzeugplanung. Bei einem Busverkehr weiß ich von vornherein, dass ein Solobus nicht so schnell an seine Kapazitätsgrenze kommt. Da hat man viel Puffer und Reserve im System. Beim Shuttleverkehr muss man sich genau überlegen, was ein einzelnes Fahrzeug leisten kann und wie viele man davon für ein Bediengebiet braucht.  

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Welche Erfahrungen und Tipps können Sie anderen Planer:innen und Umsetzer:innen mit auf den Weg geben? 

Heller: Man muss die Erfahrungen vor Ort sammeln, statt allzu wissenschaftlich an die Sache heranzugehen oder Dinge im Vorfeld kaputtzureden. Von daher empfehle ich einfach mal zu starten und klar zu kommunizieren, dass es sich um ein Pilotprojekt oder einen Versuch handelt. Und wenn man merkt, dass etwas nicht klappt, ist das Teil des Lernprozesses. Mit diesen Erkenntnissen kann man dann die richtigen Anpassungen vornehmen. Bei den Bediengebieten sollte man am Anfang nicht zu groß planen, sondern lieber klein starten und gewisse Ausweitungsszenarien in der Hinterhand haben. 

Bei der Fahrzeugplanung sollte man von Anfang an modular denken, indem man zum Beispiel für den Fall vorausplanen sollte, dass die Nachfrage steigt und man zusätzliche Fahrzeuge braucht. Ich würde empfehlen, dafür zu sorgen, dass eine Zubestellmöglichkeit gewährleistet ist. Die Aufgabenträger sollten sich auch von dem Gedanken verabschieden, ein Bediengebiet mit einem Fahrzeug abzudecken. Wir haben das in einem Bediengebiet ausprobiert und gemerkt: Wenn mal was nicht klappt, weil beispielsweise der Mobilfunkempfang weg ist oder sich das Tablet des Fahrers aufhängt, ist keine Reserve da und der ganze Service bricht schlichtweg zusammen. Daher ist es immer gut, mindestens zwei Fahrzeuge zu haben. 

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